Weihnachten zu dritt Teil 3
Sie kam zögerlich näher, sah sich im Raum um. Schwere, schwarz gestrichene Balken stützten das Haus und traten, zwischen den weiß getünchten Wänden und Decken, stark hervor. In Richtung Kamin wurde das Weiß eher ein Grau bis Dunkelgrau. Der Rauch, der gelegentlich aus dem Kamin aufstieg, hatte ganze Arbeit geleistet.
Der Sessel sah sehr bequem aus und sie setzte sich hinein. Heinrich ging zum Kamin und öffnete die schweren Stahlplatten davor, die zum Schutz vor Funkenflug geschlossen worden waren. Dahinter brannte noch ein kleines Feuer, welches Heinrich jetzt weiter anfachte, indem er mehrerer, größere Scheite Holz nachlegte.
Nur wenige Augenblicke später fanden die Flammen die neue Nahrung und vermehrte sich umso stärker. Die Strahlungswärme traf Angela und ihr wurde augenblicklich wärmer. Nur ihre Füße noch nicht. Es würde noch lange dauern, bis sie auftauten, aber das kannte sie.
Heinrich schien es zu merken, denn er setzte sich auf den Fußhocker und hab ihre Beine hoch, dann legte er sie sich in seinen Schoß und zog ihr die High Heels aus. Dann murmelte er etwas in sich hinein, was sich anhörte, wie: „Verrückt“, und „Kann man nicht drauf laufen. Wer braucht so was ?“
Dann war Angela mehr als erstaunt, als Henrich seine Augen schloss und ihre Füße zu massieren anfing. Dabei lagen vier Finger oben auf dem jeweiligen Fuß und nur der Daumen berührte bestimmte Punkte der Sohle. Dabei hatte Angela Angst, als sie ihre zierlichen Füße in den Pranken von Heinrich verschwinden sah. Doch zu ihrer Verwunderung, konnten er, mit seinem, gelinde gesagt, großen Daumen, sehr feinfühlig umgehen. Er fand Punkte, die sie nicht wusste, dass es sie gab. Ab und zu glaubte sie zu fühlen, wie diese Punkte in ihr etwas auslösten. Nach und nach entspannte sie nicht nur äußerlich, sonder bekam auf wunderbare Art und Weise warme Füße. Dabei war sie sicher, dass es nicht nur von der Wärme seiner Hände kam.
Sie wunderte sich, dass er dabei die Augen geschlossen hatte, als wenn er mehr erfühlte, was er tat. Sozusagen auf mentaler Ebene. Vielleicht sah sie aber auch so schrecklich aus, dass er sie nicht ansehen wollte. Ihr Gesicht musste auf einer Seite verunstaltet aussehen. Geschwollen war diese Hälfte sicher.
„Sehe ich so schrecklich aus, dass sie mich nicht ansehen möchten?“, fragte Angela mit leiser Stimme, denn sie war sich nicht sicher, ob sie die Stille unterbrechen sollte.
„Heinrich!“, meinte er. „Ich heiße Heinrich. Wenn ich du zu dir sage, dann darfst du das auch. Gleiches Recht für alle.
Und nein, du siehst alles andere als schrecklich aus. Gut, die eine Hälfte sieht lädiert aus, aber das lässt sich richten. Ein dummer Mensch, der so etwas tut. Er hat keine Ahnung, was er da verloren hat.Ich gebe dir eine Salbe, die du drauf tun kannst, dann schwillt es schnell ab.
Das ist nicht der Grund, warum ich dich nicht ansehe!“
„Sondern?“, fragte Angela jetzt neugieriger.
„Na, ist doch ersichtlich oder nicht? Ich habe deine Füße in den Händen und du hast ehrlich gesagt wenig an. Jetzt denke selber weiter, dann kommst du drauf!“
Angela wurde augenblicklich rot, als sie seine Sichtachse verlängerte und bemerkte, dass er ihr direkt in den Schritt schauen konnte, wenn er es gewollt hätte. Sie zuckte zusammen und wollte ihre Beine schließen.
Heinrich lächelte sie mit weiterhin geschlossenen Augen an. „Ah ha, gemerkt!“ Dann erhob er sich, legte ihre Beine auf den Fußhocker und ging aus dem Raum.
Jetzt musste Angela lächeln. Wahrscheinlich war Heinrich das Beste, was ihr in ihrer Situation passieren konnte. Wenn sie zuvor schon seine Nähe gemocht hatte, so wusste sie es jetzt umso mehr. Er hatte etwas Wohliges an sich. Sie konnte es schlecht beschreiben. Gemütlich war ebenfalls der falsche Ausdruck. Dazu roch er gut. Das fiel ihr auf, als er jetzt an ihr vorbei aus dem Raum ging. Derselbe Geruch wie der Mantel verströmt hatte. Einordnen konnte sie ihn nicht.
Wenig später kam Heinrich zurück und hielt ein Tablett, mit zwei dampfenden Schalen, in den Händen. Dann legte er Angela ein dickes Tuch, was mehrfach gefaltet war auf den Schoß und stellte eine Schale darauf.
„Wollen dich nicht verbrennen, wenn du dem Erfrieren gerade entkommen bist!“, meinte er, und setzte sein voriges Lächeln erneut auf.
Dann drückte er ihr noch einen großen Löffel in die Hand und setzt sich selber in den zweiten Sessel. Während er den ersten Löffel voller heißer Suppe zum Mund führte, starrte er in das Feuer und schlürfte das heiße Gebräu in sich hinein.
Angela musste lächeln, als sie es sah und hörte. Sie konnte Heinrich in keine Schublade stecken, was sie sonst machte. Sie hatte keine für ihn und war nicht gewillt eine Neue aufzumachen. Er war anders und verdiente es nicht, in eine gesteckt zu werden.
Dann nahm sie ihren Löffel und führte ebenfalls den ersten Schluck zum Mund. Danach wusste sie sofort, warum Heinrich geschlürft hatte. Die Suppe oder besser gesagt, der Hühnereintopf, war glühend heiß. Ohne zusätzliche Abkühlung war dieser nicht zu essen. Also tat sie es Heinrich gleich und schlürfte ebenfalls. Dabei sah sie aus dem Augenwinkel, wie Heinrich erneut zu grinsen anfing, als er es hörte.
So saßen sie beide vor dem Feuer und war ihr zuvor schon äußerlich warm geworden, heizte sie sich jetzt noch von innen auf. Der Eintopf war stark und gehaltvoll, weckte die Lebensgeister und lies sie zugleich schwinden, denn so wohlig warm, überkam Angela eine bleierne Müdigkeit.
Kaum hatte sie die Schale geleert, stellte sie diese neben sich und nur wenige Minuten später, war sie eingeschlafen.
Wie lange sie geschlafen hatte, konnte sie nicht sagen, denn als sie aufwachte, war es fast stockdunkel, um sie herum. Nur durch die schmalen Schlitze zweier Fensterläden schien ein wenig Licht in den Raum. Dann sah sie sich soweit um, wie es ging. Sie lag in einem großen Bett und konnte sich nicht daran erinnern, wie sie dort hingekommen war. Kaum hatte sie sich umgesehen erschrak sie gewaltig, als sie fühle, dass sie ihre Bekleidung nicht mehr anhatte. Sie schlug die Bettdecke zurück und entdeckte, dass sie in einem übergroßen Nachthemd steckte, was auf dem Boden schleifte, als sie zum Fenster ging. Sie wollte die Fensterläden öffnen damit mehr Licht herein kam. Die Nachttischlampe hatte nicht funktioniert.
Sie öffnete die Fenster und dann die Läden. Sie war im ersten Stock des Hauses, das erkannte sie gleich.
Ein kalter Windhauch traf sie und sie fröstelte. Doch dieses Frösteln kam auch davon, dass alles weiß war, was sie sah. Schnee, nichts als Schnee. Es musste die ganze Nacht lang geschneit haben und war immer noch dabei. Dicke, graue Wolken hingen am Himmel und schütteten ihre weiße Fracht weiterhin auf die Erde herab, wenn auch weniger als in der Nacht. Der Sturm hatte sich gelegt.
Schnell schloss sie die Fenster und schlüpfte noch für einen Moment, unter die dicke Decke, die sich unwesentlich abgekühlt hatte. Danach dachte sie über den vorherigen Tag nach. Es kam ihr alles noch unwirklich vor als zuvor. Hatte sie gestern noch bei Thomas in der Wohnung gelebt und alles war in Ordnung gewesen, lag sie jetzt hier im Nirgendwo in einem warmen Bett und wusst nicht, wie sie dort hineingekommen war. Es war alles merkwürdig.
Das, was sie angehabt hatte, lag ordentlich zusammengefaltet auf einem Stuhl, neben dem Bett.
Auch wenn es noch so gemütlich war, es hielt sich nichts im Bett. Sie stand auf und zog sich das wenige an, was sie hatte. Sicher war es unpassend, doch sie hatte nichts anderes. Dann ging sie zu einem Waschtisch, auf dem eine große Schüssel, mit einem Krug klarem Wasser stand. Sie schüttete die kalte Flüssigkeit in die Schüssel und wusch sich das Gesicht. Dann sah sie in den kleinen Spiegel, der darüber hing. Ihre eine Gesichtshälfte war noch geschwollen und hatte mehrere unnatürlich aussehende Farben angenommen. Nicht schön anzusehen.
Dann sah sie neben der Schüssel ein kleines Töpfchen stehen, in dem eine fettig aussehende Masse war. Darauf stand geschrieben, dass es gegen Schwellungen half. Da es einen neutralen Geruch hatte, zog Angela einen Finger hindurch und verteilte es auf der Schwellung. Sie begann sofort wärmer zu werden, spannte jedoch nicht mehr so stark wie zuvor. Also schmierte sie sich die ganze Seite ein, denn sie glaubte nicht, dass es schaden könnte.
Danach ging sie aus dem Zimmer nach unten. Hier konnte sie durch kleine Fenster nach draußen sehen und entdecke Heinrich im Innenhof, der dabei war, Schnee zu schaufeln. Immer wieder stach er mit einer überbreiten Schneeschaufel in die weiße Pracht und warf diese beiseite. Dabei hatte er eine derbe Hose, die Stiefel aus dem Vorraum und einen Norweger Pullover an. Doch sicher war ihm bei der Arbeit nicht kalt.
Unermüdlich grub er sich weiter durch den Schnee und hinterließ eine breite Schneise. Von der anderen Seite kam ihm Fritz entgegen. Dieser war ebenfalls mit einer Schaufel bewaffnet und arbeitete sich von dem Wirtschaftsgebäude aus vor.
Beide trafen sich nach weniger als einer haben Stunde in der Mittel, legten ihre Hände auf das Ende des Stiels und unterhielten sich eine Weile. Man konnte es an den Atemwolken erkennen, die sie abwechselnd ausstießen. Irgendwann hob Heinrich seinen Arm und zeigte in eine Richtung. Mehr an Gestik kam nicht. In der Art standen sie zehn Minuten da und schienen über irgendwas zu fachsimpeln.
Erst danach trennte sie sich und gingen in die Richtungen zurück, aus der sie gekommen waren. Dann betrat Heinrich das Haus und stand wenig später im Raum.
„Oh, guten Morgen!“, sagte er überrascht, als wenn er Angela noch nicht erwartet hatte. „Ich hoffe du hattest eine angenehme Nacht.“
„Ja, hatte ich. Nur mal eine Frage. Wie bin ich ins Bett gekommen?“
„Ich habe dich hingebracht. Du bist so fest eingeschlafen, dass ich dich nicht wecken wollte.“
Das sagte Heinrich, als wenn es das natürlichste der Welt war. Vielleicht war es das für ihn, doch Angela musste sich erst an den Gedanken gewöhnen. Als er ihr die Füße massiert hatte, hatte er die Augen zugemacht. Doch später ausgezogen. Wo war der Unterschied zwischen den beiden Angelegenheiten. Vielleicht war es die Notwendigkeit.
Sie wusste es nicht.
„Ach ja, die Lampe oben ist kaputt!“, meinte Angela noch, um irgendetwas zu sagen.
„Sie ist nicht kaputt. Kein Strom. Die Leitung ist unterbrochen. Wahrscheinlich wegen des Schnees. Macht aber nichts. Wir werden nicht erfrieren oder verhungern. Bei den Schneemassen wird es schwierig, dich wieder in die Stadt zu bringen. Es sieht nach einem neuen Sturm aus und bei der Schneemenge wird es selbst für einen Schlitten zu gefährlich. So wie es aussieht, wirst du ein paar Tage hier aushalten müssen!“
Angela überlegte einen Moment. Eigentlich erwartete sie keiner und Thomas wollte sie nicht wiedersehen. Wenn er sich Sorgen machte, sollte er das ruhig. Wenn nicht, würde es ihm nicht auffallen, dass sie weg war. Von daher war es gut, wenn sie nicht greifbar war.
„Macht nichts, ist nicht schlimm. Solange ich hier niemandem auf die Nerven gehe!“, meinte Angela und Heinrich grinste.
„Du wirst uns schon nicht die Vorräte wegessen, so viel kann ein solch schmaler Körper wie du ihn hast nicht verdrücken. Aber vorsorglich werden wir heute noch schlachten. Das hatten wir sowieso vorgehabt!“
Angela sah Heinrich bei der Nachricht komisch an. Doch Fleisch kam von Tieren, also musste man sie vorher schlachten, anders ging es nicht. Auch wenn es befremdlich klang. Immerhin kannte sie sonst niemanden, der sein Essen selber tötete. Es war, viel praktischer, eine Packung aufzumachen oder beim Fleischer einzukaufen. Dort lag es und man konnte nicht mehr erkennen, was es gewesen war. Hier war das anders.
Um den Schauer zu überspielen, der ihr über den Rücken lief, sagte Angela noch: „Ach ja, noch ein Dankeschön für die Salbe. Sie scheint gut wirken.“
Henrich drehte sich zu Angela um und meinte trocken: „Was für ein Pferd gut ist, kann für Menschen nicht falsch sein!“, dann drehte er sich um, ging in einen anderen Raum des Hauses.
Angela war mehr als verdutzt. Sie hatte sich etwas ins Gesicht geschmiert, was eigentlich für Pferde war. Auf der anderen Seite hatte Heinrich recht. Warum nicht.
Wenig später ging Heinrich wieder aus dem Haus. Dabei hatte er ein großes Messer in der eine Hand, in der anderen ein Beil mit breiter Klinge. Was er damit vorhatte, war klar.
Sie sah ihn die nächsten zwei Stunden nicht mehr, wollte auch nicht nachsehen, wo er gerade war. Sie konnte es sich vorstellen.
Etwas später kam er ins Haus zurück. Sie konnte nur sehen, wie er kurz durch den Raum lief, aber das reichte ihr, denn die roten Spritzer auf seiner angelegten Schürze, sagten genug aus. Wenig später erschien er wieder, meinte grinsend: „Majoran vergessen!“, hielt ein Glas mit dem Kraut hoch und verschwand Richtung Wirtschaftsgebäude.
Eine weitere Stunde verging, die sich Angela damit verkürzte, dass sie sich die Bücher in einem Bücherregal ansah. Die meisten interessierten sie nicht, denn es waren eher Fachbücher über Wirtschaft. Etwas, was sie hier nicht vermutet hatte. Aber es gab auch ein paar Romane. Keine Liebesromane sondern hauptsächlich historische. Sie schnappte sich eines davon und setzte sich in den Sessel vor dem Kamin.
Das Licht war zum Lesen nicht geeignet und die dabei stehende Lampe hatte noch keinen Saft. Also wandte sie sich mit dem Buch dem Fenster zu, legte ein Kissen auf die breite Fensterbank und setze sich in den Rahmen.
Es war zwar nicht sonderlich bequem, aber dafür stimmten die Lichtverhältnisse. Außerdem hatte sie dabei den Innenhof im Blickfeld und konnte Richtung Wirtschaftsgebäude sehen.
Ab und zu erschienen Heinrich und Fritz. Dann standen sie eine Weile im Schnee und unterhielten sich. Dabei entdeckte sie Heinrich, wie sie im Fenster saß, und winkte ihr zu. Fritz dagegen sah herüber, ohne eine noch so kleine Gestik anzudeuten.
Angela winkte zurück und richtete danach ihren Blick auf das Buch, was zu ihrem Erstaunen interessant war. Sie hätte niemals gedacht, dass ein Buch von den ersten Seiten an gut sein konnte. Zumeist vermied sie es zu lesen, denn sie empfand es als langweilig. Doch jetzt, ohne Fernseher, Radio oder Internet blieb ihr nichts anderes übrig, wenn sie nicht vor Langeweile eingehen wollte.
Irgendwann wurde es zu unbequem und ihr Rücken fing an zu schmerzen. Als sie von der Fensterbank klettern wollte, kam Heinrich gerade aus dem Gebäude und hatte eine längere Stange geschultert, auf der reihenweise Würste hingen. Sie unterschieden sich sowohl in Form, Farbe und Größe, sahen aber alle lecker aus. Nicht, dass Angela eine fanatische Fleischesserin war, doch wenn es etwas Leckeres in der Richtung gab, sagte sie nicht Nein.
Heinrich betrat das Haus und meinte: „Das sollte eine Zeit lang reichen!“, und erneut erschien sein fröhliches Lächeln. Dann ging er zum Kamin und nahm eine Stange mit einem Haken am Ende. Mit diesem hob er mehrere Würste in den Schornstein und hängte sie weit oben hinein. Andere nahm er mit und verschwand in der Küche, soweit Angela es beurteilen konnte. Sie wollte nicht neugierig sein und hatte sich daher noch nicht umgesehen. Aber da er immer aus dieser Richtung kam, wenn es etwas zu essen gab, ging sie davon aus.
Wenig später kam er mit einem großen Holzbrett aus besagter Küche, auf der mehrere Wurstsorten aufgeschnitten lagen. Daneben Schinken und Käse, die herrlich dufteten, als Angela näher kam, um es zu betrachten. Ihr lief das Wasser im Munde zusammen, denn sie hatte den Tag über noch nichts gesessen. Das war ihr noch nicht aufgefallen, machte sich jetzt umso deutlicher bemerkbar. Ihr Magen knurrte laut, als sie den ersten Geruch wahrnahm.
Heinrich sah sie grinsend an. Zeigte ihr an, sich zu setzten und sie konnte der Einladung nicht widerstehen.
Zu der reichlich belegten Platte gab es sehr frisch schmeckendes Brot. Dazu holte Heinrich noch eine Flasche Wasser und eine mit blutrotem Wein.
„Was darf es sein? Gänsewein für den Durst oder einen leckeren Roten, der die Kehle streichelt und die Geschmacksknospen verwöhnt?“
Da Angela nicht schnell genug antwortete, stellte Heinrich sowohl Wein- als auch Wassergläser auf den Tisch und goss von beidem ein.
Wenig später saß er mit am Tisch und sie kauten genussvoll an den leckeren Sachen herum. Was Heinrich zuerst nicht gefiel, war, dass Angela zu wenig Wurst, zu viel Brot nahm. Er meinte nur: „Mädel, nun tue mal was drauf. Ist genug von da!“
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen.
Dieses einfache, aber zugleich opulente Mahl schmeckte Angela mehr als gut. Die Kombination von Hunger und dem dargebotenen, war nicht zu toppen. Dazu kam der trockene Rotwein, der sich zu diesem Mahl anbot und die verschiedenen Geschmäcker unterstützte.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich vollgestopft nach hintern sinken ließ und keinen Bissen mehr herunter bekam.
Heinrich sah es mit Vergnügen und war sichtlich darüber erfreut, dass sie zugelangt hatte. Vor allem wunderte es ihn insgeheim, wie viel in diesen kleinen Körper hinein passte. So viel, dass sie eine kleine Kugel als Bauch bekam und das fand er niedlich.
Als er später auch sein Mahl beendet hatte und gedankenversunken in ein letztes Glas Wein schaute, meine er, ohne Angela anzusehen: „Also irgendwie müssen wir was gegen deine Bekleidung machen. Das wenige was du an hast, ist nicht gut für meine Augen, außerdem brauchst du was zum Wechseln. Willst doch nicht die nächsten Tage immer in den gleichen Teilen rumlaufen. Es fragt sich nur, wo wir was anderes her bekommen. Du wirst mir glauben, dass ich hier keine Boutique im Haus habe, schon gar nicht für zierliche Persönchen, wie du eine bist.
Mal sehen, was ich für dich habe. Wahrscheinlich wirst du aber aus den Klamotten herausfallen.“
Und so war es auch. Heinrich gab ihr das Engste, was er hatte, und lachte sich fast tot, als sie sich nach dem Umziehen zeigte.
Die Hose sah aus, als wenn sie doppelt so lang war, wie sie sollte, war am Bund natürlich genauso weit und der Pullover, den er ihr gegeben hatte, hing bis zu den Knien herunter. Ganz zu schweigen über die Ärmel, die sie gleichzeitig als Handschuhe benutzen konnte.
Dafür waren die Klamotten warm und strapazierfähiger als ihre vorigen. Bei den Schuhen sah es anders aus. Aber das änderte sich schnell, denn Fritz konnte sehr gut drechseln und wenig später kam er mit einem Paar Holzschuhe ins Haupthaus, die er gefertigt hatte.
Als er Angela sah, wie sie in den Schlabberklamotten im Raum stand, konnte selbst er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die erste Gefühlsregung die Angela an ihm feststellen konnte. Allerdings hatte sie ihn noch nicht oft und lange gesehen, von daher konnte sie sich kein Urteil über ihn erlauben.
Als Fritz gegangen war, kam Heinrich mit einem niedrigen Hocker zurück, der eher wie ein Schemel aussah. Dann hob er Angela darauf, denn mit den überlangen Hosenbeinen, konnte sie nicht laufen. Danach schnappe er sich eine Schere und schnitt die Hosenbeine so ab, dass es endlich in der Länge passte.
Damit die Hose hielt, holte er noch ein paar Hosenträger und steckte noch zusätzlich einen Strick durch die Gürtelschlaufen. Mit einem geschickten Knoten darin, hielt sie jetzt dort, wo sie sein sollte.
Heinrich trat zwei Schritte zurück und musste schallend lachen, während Angela bedröppelt aus der Wäsche schaute.
„Nicht gerade der neuste Pariser Chic, aber immerhin. Wird seinen Zweck erfüllen. Mal sehen ob wir dir noch eine zweite Kollektion davon machen können. Immerhin brauchst du ja mindestens zwei davon. Wollen nicht, dass du nackig durch die Gegend laufen musst.“
Heinrich schien richtigen Spaß daran zu entwickeln, Angela anzukleiden. Jedenfalls beschäftige er sich den ganzen Nachmittag damit, eine Kollektion für sie zu entwerfen, die von Modeschöpfern auch nicht kühner gestaltete hätte werden können. Zum Schluss kamen sogar drei komplette Sätze dabei heraus, wobei Heinrich mehrfach dicke Tränen vom Lachen, in den Augen hatte.
Angela nahm es ebenfalls mit Humor und lachte mit, besonders als Heinrich einen großen Spiegel holte und diesen vor sie schob.
Sie war nicht wieder zu erkennen. Die einstmals mehr als gepflegten Haare hingen wirr vom Kopf und die Bekleidung sah drollig aus. Was ihr jedoch positiv auffiel, war die Tatsache, dass die Schwellung im Gesicht fast abgeklungen war. Die Salbe schien nicht nur bei Pferden zu helfen.
Später saßen sie beiden vor dem Kamin und Heinrich erklärte ihr ein wenig Hintergrundwissen zu dem Roman, den sie angefangen hatte. Er hatte das Buch auf dem Tisch liegen gesehen und es als interessant empfunden, dass sie sich für den Roman entschieden hatte.
Bei Heinrich hörte sich dieses Hintergrundwissen nicht an, als wenn er ein Lehrer wäre, sondern eher, als wenn er selber einen Roman vorlas. So wurde Angela in der kuscheligen Wärme schnell müde und schlief wie am Vorabend in dem Sessel ein.
Irgendwann in der Nacht, es war noch dunkel, wachte sie wieder in dem Bett auf. Sie schmunzelte bei dem Gedanken, dass Heinrich sie nochmals dorthin gebracht hatte, und überlegte sich, woran er dachte, wenn er sie auszog. Immerhin hatte sie ein Nachthemd an und da kam sie nicht von alleine hinein. Es würde sie sehr interessieren, wie er es machte. Das wollte sie heraus bekommen. Dann schlief sie mit diesem Gedanken ein.
Der nächste Tag wurde interessant für sie. Der Himmel war endlich aufgerissen und es hörte zumindest zeitweise auf, zu schneien.
Angela zog die für sie gemachte Bekleidung an, grinste selber noch einmal über sich und ging nach unten. Heinrich war nicht in Wohnzimmer, aber sie hörte draußen einen Motor angehen und ging deshalb nach draußen.
Es war kalt, sehr kalt, doch die frische, glasklare Luft tat ihrer Lunge gut und sie atmete mehrmals tief durch. Dann sah sie in die Richtung, aus dem der Motor immer lauter an ihr Ohr drang.
Ein Ungetüm von Traktor kam um die Ecke, an dessen Ausleger eine breite Schaufel angebracht worden war. Heinrich saß hoch oben im Führerhaus und sah Angela vor dem Haus stehen. Sofort lenkte er das Fahrzeug in ihrer Richtung und hielt vor ihr an.
„Wollte mal sehen, ob wir bis zur Hauptstraße kommen, vielleicht haben sie die schon geräumt. Dann kannst du bald nach Hause!
Willst du mitfahren?“
Klar wollte sie. Also stieg sie zu ihm in das mehr als geräumige Führerhaus und machte es sich dort neben ihm bequem.
Wenn man hier oben saß, hatte man eine andere Sicht auf die Dinge. Es war unheimlich hoch, doch gerade das gefiel Angela gut. Als der Trecker anfuhr, und versuchte sich einen Weg durch den Schnee zu bahnen, kam ihr in den Sinn, was Heinrich gesagt hatte.
„Dann kannst du bald nach Hause!“, hatte er gesagt. Aber wo war jetzt ihr Zuhause. Wenn sie darüber nachdachte, hatte sie keins mehr. Thomas hatte ihr unmissverständlich gesagt, dass er sie nicht mehr wollte und sie glaubte ihm, dass er von dieser Meinung nicht abwich. Also, fragte sie sich noch einmal, wo ihr Zuhause war. Aber es kam keine Antwort. Sie konnte nur zu ihren Eltern zurück. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Geld und Job hatte sie nicht.
Schweigend saß sie neben Heinrich, der mit dem Fahrzeug versuchte, eine Schneise in den Schnee zu ziehen. Doch sie kamen nur langsam voran. Hier draußen waren die Verwehungen weitaus höher als in der Stadt und so musste er oftmals lange die Schaufel einsetzen, bis er durch eine hindurch war.
Wenn es nach Angela gegangen wäre, hätte er noch sehr lange gebraucht. Jeder Tag, den sie bei Heinrich verbringen konnte, was ein gewonnener Tag. So erschien es ihr.
Heinrich schaffte die Hälfte des Weges, so sagte er es zumindest. Danach sah er mit Kennerblick nach oben in den Himmel und schüttelte mit dem Kopf.
„Wir sollten zurückfahren. Da braut sich noch was zusammen und wir wollen nicht länger als nötig hier in der Kabine hocken. Ich finde, du fährst zurück!“
Angela hatte einen Führerschein, sicher, aber für einen PKW. Das, was hier unter ihr war, war aber keiner, sondern etwas ganz anderes. Sie sah Heinrich an, als wenn dieser einen Scherz gemacht hatte.
Heinrich drehte das Fahrzeug noch in die andere Richtung und verließ den Kommandostand. So sah es jedenfalls aus, wo er gesessen hatte.
Noch einmal sah Angela ihn wie vom Donner gerührt an, doch er machte eine einladende Bewegung auf den Sitz zu und grinste.
Mit Unbehagen setzte sich Angela auf den Fahrersitz, den Heinrich jetzt so einstellte, dass sie mit den Füßen an die Pedale kam. Dann erklärte er ihr noch die wenigen wichtigen Sachen, die sie wissen musste. Zumeist war es aber eher ein Hinweis darauf, jenen oder diesen Knopf oder Schalter nicht zu betätigen. Der Rest sei wie Autofahren. Meinte er zumindest.
Angela atmete durch, trat die Kupplung durch und legte den ersten Gang ein. Dann ließ sie die Kupplung zu schnell kommen und der Ruck, der durch das Gefährt ging, war gewaltig. Aber sie würgte den Motor wenigstens nicht ab. Also fuhr sie im Schritttempo langsam Richtung Hof und erfreute sich diebisch daran, dass sie ein solches Monster bewegen konnte.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sie am Hof ankamen, kamen aber noch rechtzeitig genug an, bevor es erneut zu schneien anfing. Das Einparken übernahm Heinrich.
Dann gingen sie in Richtung Haupthaus und Angela wunderte sich darüber, wie warm die Holzschuhe waren. Das hätte sie nicht gedacht.
Im Haus angekommen, zog ein unwiderstehlicher Duft von gebratenem Geflügel durch das Haus und Angela wunderte sich darüber. Immerhin waren sie beide unterwegs gewesen, ohne etwas zuvor aufzusetzen.
„Fritz!“, meinte Heinrich schnüffelnd, als er ihren fragenden Blick sah. „Er kann viel und ich wüsste nicht, wie ich ohne ihn auskommen sollte. Er sorgt für den Hof und alles, was zu erledigen ist. Kochen tut er leidenschaftlich gerne. Dabei sagt er, dass er nur für sich kocht, aber ich darf mitessen. Dabei hat er gemeint, als ich dich mitgebracht habe, dass es auf einen Esser mehr oder weniger nicht ankommt. Du hast die leckeren Sachen ihm zu verdanken!“
„Wenn Fritz hier normalerweise alles macht, was machst du dann? Ich dachte, du bist hier der Bauer und er der Knecht?“
„Ja,ist auch so. Mir gehört das Land, die Gebäude und alles was dazugehört. Fritz arbeitet für mich, aber dieser Hof wirft keinen Gewinn ab. Soll er auch nicht. Es ist zur Eigenversorgung, da ich gute Qualität bevorzuge!“
Jetzt stellte sich Angela die Frage, was Heinrich eigentlich tat, aber darüber wollte er anscheinend nichts sagen. Er meinte nur, dass er auf einem Hof groß geworden war und somit das Handwerk gelernt hatte, mehr nicht.
Angela ließ es dabei bewenden, sie wollte ihn nicht zu etwas drängen, was er nicht wollte.
Dafür drehte er selber den Spieß um.