Blutrache – Teil 01
Es handelt sich um eine Fantasy-Geschichte auf einer eigenen Welt.
Ich hoffe, alles Notwendige erklärt sich aus der Geschichte und bitte darum, mich darin zu bestätigen oder mir zu sagen, ob genau das eben nicht der Fall ist.
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Prolog
Die ersten Strahlen der Sonne, die sich aus dem Dunkel des Nachthimmels schob, verkündeten den Beginn eines neuen Tages.
Langsam schälten sich die Konturen eines schlanken Langschiffes aus den Schatten, dessen Mast umgelegt war. Es gab wenig Wind zum Segeln und das Ziel war nah. Doch die Besatzung des Schiffes war ungewöhnlich still, während sie ihr Schiff mit der Kraft ihrer Muskeln vorantrieben.
Dichter Rauch lag über der kleinen Ansiedlung an der Küste, als der Morgen hereinbrach.
Die Männer und Frauen an Bord des Schiffes ruderten konzentriert. Doch sie alle blickten hin und wieder hinüber zur Küste.
Die Feuer waren offenbar niedergebrannt, doch der Rauch bezeugte, dass die Balken der Häuser noch schwelten. Was immer geschehen war, konnte noch nicht lange zurückliegen.
Von den Angreifern, die für die Verwüstungen an der Palisade um das kleine Dorf verantwortlich sein mussten, war nichts zu sehen. Bedachte man die Lage der Ansiedlung auf einer kleinen Insel vor der Küste, mussten sie mit einem Schiff gekommen sein, doch es war fort.
Aus der Ferne betrachtet hätte der Anblick eines Drachenschiffes der Kartaren vor einem brennenden Dorf an der Küste einen Überfall dieser berüchtigten Barbaren aus dem eisigen Norden nahegelegt. Und selbst so weit im Südosten des Meeres der Stürme – des nördlichen Meeres, das die Kartaren als Einzige zu beherrschen vermochten – war ein solcher Anblick nicht gänzlich unbekannt. Der Schreckensruf der nördlichen Küsten – Die Kartaren kommen! – war auch hier noch wohlbekannt und gefürchtet.
Doch das Schiff mit den rauen Kriegern war nicht für die Feuer und die Verwüstungen verantwortlich. Es waren ihre eigenen Langhäuser, die nun nicht mehr mit ihren reich geschmückten Firsten die Palisade überragten. Es war ihre Heimat – oder besser deren Überreste – die dort schwelten.
Das Schiff ruderte schnell ans Ufer und der hochgezogenen Bugsteven mit dem Drachenkopf, der dem Schiff seinen Namen gab, schob sich auf den Strand.
Das leichte, wendige Schiff war nur für die Augen eines Kundigen anhand seiner Verzierungen zu identifizieren. Oder anhand der Gesichter seiner Mannschaft. Doch kaum ein Mensch außerhalb der frostigen Heimat der Kartaren konnte sich als kundig betrachten, was deren Wege, Traditionen und Symbole anging.
Noch bevor die Krieger ihre Ruder verstaut hatten, setzen bereits drei von ihnen über die niedrige Reling und sprangen auf den Strand.
Selbst unter seinesgleichen hatte Bjorn niemanden, der an ihn heranreichte. Er war gut eine Handspanne länger als zwei Schritt und trug seinen Kriegernamen aus gutem Grund.
Bjorn – Bär in der Sprache seines Volkes – war nicht nur das Wesen, mit dem sich der Gigant am ehesten vergleichen ließ. Für den Krieger war er noch viel mehr.
All seine Kraft verdankte er dem Bärengeist. Zu seinen Ehren hatte er mit bloßen Händen einen der riesigen, weißen Bären des Nordens erlegt und trug dessen Fell nun um die Schultern. Seiner Wut bediente er sich im Kampf, wenn er zum Berserker wurde und nichts und niemand seiner Kraft standhalten konnte. Seiner Kraft und der riesigen, zweiblättrigen Axt, die nur er zu schwingen vermochte.
An seiner Seite waren die beiden Kartaren, die als Einzige begreifen konnten, welche Gefühle in Bjorns Brust miteinander stritten. Nur sie verstanden, wo andere respektierten, bewunderten und… fürchteten, denn Bjorns Wut konnte auch erwachen, wenn sie nicht im Kampf mit Fremden standen. Auch zahlreiche Kartaren waren von seiner Hand gefallen.
Die Geschwister Vigulf und Skjala mochten an die zwei Handspannen kleiner sein, als der mächtige Berserker. Und man mochte ihren dunklen Haaren und Augen ansehen, dass ihre Mutter zu den Frauen gehörte, die von einem Raubzug mit in die eisige Heimat ihres Volkes gebracht worden waren. Aber niemand würde es deswegen wagen, sie gering zu schätzen.
Die Zwillinge waren berühmte Krieger. Und in ihnen brannte ebenfalls das Feuer eines mächtigen Tiergeistes. Aber in ihrem Fall war es der Wolf.
Neben dem riesigen Hünen mit dem langen, blonden Zopf und dem prächtigen, geflochtenen Bart, nahmen sich die beiden anderen beinahe aus, wie Warmländer aus dem Süden. Selbst wenn man ihre ganz und gar nordische Kleidung bedachte.
Doch aus der Nähe konnten niemandem die Zeichnungen auf ihren Gesichtern entgehen. Die Warnungen an alle anderen Kartaren, die auch Bjorn mit Stolz trug.
Jedes Kartarenkind lernte schon, bevor es laufen konnte, niemals einen von denen zu reizen, denen diese Zeichen in die Haut gebrannt waren. Und jeder Krieger stand bereit, wenn sich der Vollmond näherte. Bereit um die Gefährten zu bändigen und für diese Nacht in Ketten zu legen, auf dass niemand zu Schaden käme.
Denn in jenen Nächten und in Zeiten größter Not ließ die rasende Wut ihrer tierischen Schutzgeister sie ihre menschliche Hülle abstreifen. ‚Wer‘ nannte man, was sie dann wurden – Werbär und Werwolf.
Nun, hier am Strand, nahe der verkohlten Palisade, ließen die Krieger des Schiffs ihren Anführer und seine beiden treuen Schatten vorangehen. Zwar begehrten sie alle zu wissen, ob es Überlebende gäbe, doch sie wussten auch, dass ihre Gefährten nur mühsam ihre Wut beherrschten, seitdem in der Nacht der unverkennbare Schein der Flammen in der Ferne aufgetaucht war.
Und niemand wollte nahe sein, wenn ihr fürchterlicher Zorn ausbrach.
Festen Schrittes stapfte Bjorn durch den hellen Sand und nur der eiserne Griff am Schaft seiner Waffe bezeugte seine Anspannung. Vigulf hingegen machte sich nicht so viel Mühe, seine Gereiztheit zu verbergen. Sein Gesicht – entgegen den Bräuchen seines Volkes nur von einem sorgsam gestutzten Bart bedeckt – war umwölkt und ein Strom leiser Flüche verließ unablässig seine Lippen.
Seine Zwillingsschwester auf der anderen Seite schien ihren Unmut hingegen perfekt zu beherrschen. Nur wer sie sehr gut kannte, mochte die Anspannung um ihre Augen sehen und ihre eisige Ruhe zu fürchten wissen, denn in ihrem Fall war dies der Vorbote ihres Zorns.
„Deine Flüche machen es auch nicht besser“, schnappte sie schließlich in Richtung ihres Bruders.
„Für mich schon“, grollte der zurück.
„Wirklich?“, erwiderte sie spitz. „Kühlt es seit Neuestem dein Blut, wenn du wie ein Waschweib keifst, statt deine Klauen in den Hals von denen zu schlagen, die für dies verantwortlich sind?“
Wütend fuhr Vigulf herum, bereit seine Schwester anzubrüllen. Doch Bjorns donnernde Stimme ließ ihn innehalten.
„Hört mit der Streiterei auf!“, polterte ihr Anführer. „Spart euch eure Wut auf…“
Er musste nicht sagen, wofür, denn das stand außer Frage.
Die Angreifer hatten es gewagt, die Familien der Kartaren zu überfallen, während diese auf See waren. Damit war ihre Ehrlosigkeit erwiesen. Einem jeden von ihnen stand das gleiche Schicksal bevor: Der Tod eines Feiglings.
Wann immer es möglich war, würden sie nicht im Kampf sterben, sondern unter Schmerzen. Erst wenn sie wimmerten wie verängstigte Kinder, würde ihre Bestrafung wirklich beginnen. Und am Ende würden ihre Seelen keine Erlösung im Tod finden, denn keine Erinnerungen an etwas anderes als Schmerz würden sie ins Reich der Toten begleiten.
Still betraten die drei Krieger das Dorf durch eine Bresche in der Palisade.
„Kriegsmaschine“, vermutete Skjala mit einem Blick auf die Art, wie die Stämme gebrochen waren. „Wahrscheinlich am Bug ihres Schiffes.“
Bjorn hörte ihre Worte, aber für den Moment konnte er ihre Bedeutung nicht erfassen. Seine Augen waren auf den Versammlungsplatz gerichtet, der einmal von den Langhäusern umgeben die Mitte der Siedlung markiert hatte.
Wie ein fester Schritt in frisch gefallenem Schnee klang das Mahlen seiner Zähne.
Die Kartaren waren als Barbaren bekannt und ihre Überfälle waren ein Schrecken für die Bewohner der Küste. Vor allem das nördliche Menschenkönigreich La’Han litt unter ihnen. Aber auch andere Ufer waren keineswegs sicher, denn die Drachenschiffe segelten überall hin.
Doch aus ihrer eigenen Sicht – die gewiss geprägt war von ihrer rauen, tödlichen Heimat – waren sie keine Schlächter. Sie gewährten denen, die sich zu kämpfen entschlossen, den Tod eines Kriegers und sie raubten Frauen, um sie mit sich zu nehmen. Doch auch wenn das Leben, das diese Entführten erwartete, hart und entbehrungsreich war, wurden sie gut behandelt.
Nicht wenige von ihnen fügten sich schließlich in ihr neues Schicksal und fanden nicht nur Schutz und Sicherheit, sondern auch Liebe. Und zwar weit mehr davon, als das schwache Herz eines Warmländers zu geben vermochte. Die Glut der Leidenschaft und Liebe eines Kartaren war so heiß, wie seine Heimat kalt und unwirtlich.
Niemals in hundert Zeitaltern legte ein Kartarenkrieger Hand an die Kinder, die Alten und Schwachen oder eine Frau, unter deren Herz ein Kind heranwuchs. Niemals in hundert Zeitaltern würden die Kartaren ein Gemetzel anrichten, wie es sich Bjorns Augen darbot.
Männer und Frauen, Junge und Alte, sie waren alle tot. Und was noch schlimmer war: Sie waren keinen sauberen Tod gestorben.
Langsam schritten die Krieger auf den Dorfplatz zu und versuchten zu begreifen, was ihre Augen bezeugten.
Die Angreifer mussten am Tag über das Dorf hergefallen sein. Die Gerätschaften des täglichen Lebens, die achtlos fallengelassen überall herumlagen, bewiesen das. Und die Waffen überall auf dem Boden zeigten, dass die Dorfbewohner gekämpft hatten, wie es die Art der Kartaren war.
Doch trotzdem zeigte nur eine Handvoll Leichen die Anzeichen eines Todes in der Schlacht. Und keine wies Verletzungen auf, wie sie von Schwertern, Klingen und Äxten verursacht wurden.
Mit Knüppel und Keulen mussten die Angreifer über das Dorf hergefallen sein. Und sie schienen durch schiere Masse die Bewohner niedergerungen zu haben.
Inmitten des Platzes war offenbar eilends etwas errichtet worden, das wie ein Tribunal wirkte. Und dort sah man auch alle Anhaltspunkte für den Ursprung der seltsamen Brandzeichen, die jeder einzelne tote Körper zumindest auf der Stirn trug. Bei vielen waren sie jedoch über den ganzen Körper verteilt.
Diese Brandmale und die Spuren von Peitschen und Schlägen bewiesen, dass die Kartaren gefoltert worden waren, bevor man ihnen den Schädel einschlug. Beinahe meinte Bjorn, noch ihre Schreie zu hören.
Ein Kartarenkrieger ertrug die Schmerzen der Schlacht, ohne zu klagen. Doch Folter konnte den Willen eines jeden Menschen brechen. Und die meisten der Opfer waren noch lange keine Krieger gewesen. Oder schon dem Alterstode nahe.
Der Hüne schämte sich seiner Tränen nicht, als er langsam auf die drei seltsamen Gebilde zuschritt, die hinter dem Tribunal errichtet worden waren. Es waren Kreise aus Holz mit einem siebenzackigen Stern darin. Und auf jeden der Sterne war ein Körper gebunden.
Zur Rechten erkannte Bjorn die Überreste von Gunnbrandr. Der Schmied war einer der wenigen Krieger, die selten das Dorf verließen. Seine Aufgabe war es, die Waffen der Krieger und die Geräte für die Felder zu erschaffen und erhalten. Und zugleich war er für die Ausbildung der Kinder verantwortlich, wenn der ‚Hetmann‘ – der Anführer der Sippe – fern weilte.
Über und über war der Mann, der bis auf wenige Finger an Bjorn herangereicht hatte, mit Brandmalen und Striemen bedeckt. Zumindest dort, wo seine Haut nicht in Streifen abgezogen worden war. Sein Mund war selbst im Tod noch geschlossen und die Lippen fest aufeinander gepresst. Er hatte nicht geschrien. Und dafür ganz besonders gelitten.
Auf der linken Seite hing schlaff der Körper von Ragnja in den Fesseln. Sie war nicht nur Bjorns Mutter, sondern auch die Weise des Dorfes gewesen. Und von ihrer weitgerühmten Schönheit, die selbst durch ihr stolzes Alter nicht gemindert wurde, war nichts mehr geblieben.
Entstellt und geschunden hatte man sie zur Schau gestellt, nachdem sich ohne jeden Zweifel zahlreiche Männer an ihr vergangen hatten. Und wäre sie nicht zu Tode gefoltert worden, so wäre sie gewiss an den Verletzungen gestorben, die man ihr dabei zugefügt hatte.
Ihr gesamter Unterleib war nur noch eine blutige Masse.
Zögernd richtet Bjorn seinen Blick auf das mittlere Gestell. Von rechts und von links spürte er eine Hand auf seiner Schulter, als seine beiden Begleiter ihm zur Seite standen, um ihm Kraft zu spenden.
Schon aus der Ferne war ihr heller Schopf unverkennbar gewesen. Schon beim Betreten des Dorfes hatte er Alhvit erkannt. Doch, sie aus der Nähe dort hängen zu sehen…
Ihr schneeweißes Haar war blutverkrustet und ihre einzigartigen, violetten Auen waren geschlossen. Sie würden ihn niemals wieder voller Liebe und Wärme ansehen.
Auch sie war nackt – wie alle anderen Frauen und Mädchen des Dorfes. Auch sie war geschändet worden, wie zahlreiche Spuren zeigten. Doch ihr hatte man zudem auch den Bauch aufgeschlitzt und das ungeborene Kind herausgeschnitten.
Sein Kind.
Bjorn war ein Berserker und ein Wer. Die Zeichen auf seinen Wangen und seiner Stirn warnten einen jeden davor. Doch sie warnten ganz besonders die Frauen seines Volkes, dass ein Kind vom ihm seinen Fluch und Segen tragen würde.
So sehr die Kartaren ihn und seinesgleichen respektierten, so sehr fürchteten sie doch auch ihre Unberechenbarkeit und wilde Wut. In den Augen der Ältesten war es ausreichend, dass die Götter immer wieder beschlossen, ein Kind mit dem Geist eines der wilden Tiere des Nordens zu beseelen. Sie ermutigten jene Gezeichneten nicht, sich ein Weib zu suchen.
Doch jede Kartarin hatte das Recht, sich zu jedem Mann zu legen, den sie wollte – und dessen andere Frau oder Frauen sie davon überzeugen konnte, sie zu dulden.
Sein Volk war ein freies, stolzes Volk und der einzige Grund, aus dem mehr Männer als Frauen die Schiffe besetzen, waren die Kinder, die nun einmal nur in ihren Bäuchen heranwuchsen.
Alhvit war niemals eine Kriegerin gewesen. Doch schwach war sie ganz und gar nicht. Ihre Stärke kam aus ihrem Inneren. Sie wäre gewiss die nächste Weise des Dorfes geworden, wenn seine Mutter sich schließlich dem Alter zu beugen beschlossen hätte.
Und sie hatte ihn auserkoren, ihr Mann zu sein. Ihr einziger Mann.
Mit all seiner Kraft hatte Bjorn versucht, sich ihrer zu erwehren. Er kannte die Last seines Erbes und wollte nicht, dass ein Kind damit bedacht wurde, ohne dass die Götter dies beschlossen. Die mochten ihre Gründe haben, doch er war nur ein Mensch. Er fühlte, dass es nicht an ihm sein sollte, eine solche Bürde zu vergeben.
Aber Alhvit hatte nicht von ihm abgelassen. Trotz der Aufmerksamkeit, die ihre eigentümliche Schönheit erregte, hatte sie jeden Verehrer abgewiesen.
Nach Jahren der Abweisung war sie schließlich, nur mit einem Bärenfell bekleidet, in seine Hütte gekommen, hatte es abgelegt, sich auf die Knie niedergelassen und sich einen Dolch an die Kehle gesetzt.
„Nimm mich zum Weib“, hatte sie mit Tränen in den Augen gefordert. „Oder stoß mir den Dolch in die Kehle, denn ich ertrage den Schmerz der Klinge in meinem Herzen nicht mehr.“
„Ich werde dich zerfetzen, wenn der Vollmond…“, wollte er widersprechen.
„Dann sterbe ich wenigstens als glückliche Frau“, unterbrach sie ihn. „Und außerdem bin ich bereits tot, denn ich bin nicht an deiner Seite.“
„Unsere Kinder…“, versuchte er es noch einmal.
„Wachsen auf, von der Liebe ihrer Eltern eingehüllt. Sie erfahren Glück und werden stolze Krieger.“
Noch unzählige Widerworte hätte er vorbringen können, doch sie alle wurden fortgeschwemmt von der Sehnsucht in ihren Augen. Der Sehnsucht nach… ihm.
Natürlich begehrte er sie, so wie ein jeder gesunde Mann es tun musste. Aber schon lange hatte sie auch den eisigen Panzer um sein Herz durchbohrt, weil sie niemals furchtsam vor ihm zurückwich, wenn er wütend wurde. Allein ihre Hand auf seinem Arm hatte mehr als einmal verhindert, dass er jemandem den Schädel einschlug und ihre stille Anwesenheit, wenn man ihn zum Vollmond in Ketten legte, schien sogar den Werbären zu besänftigen, zu dem er wurde.
Am allerwenigsten wollte er ihr Schmerz bereiten. Und nichts wünschte er sich mehr, als zu ihr zu gehören.
All seine Sorgen erwiesen sich als Rauch und Nebel, als er vor ihr auf die Knie ging und sie in die Arme schloss.
Ihr zierlicher Körper zerbrach nicht unter seiner Kraft, selbst wenn er wild wurde, im Augenblick größter Leidenschaft. Und niemals verließ die Liebe ihren Blick. Oder ihre eigene, brennende Leidenschaft, was das anging.
Der Kampf war sein Tagwerk. Das einzige Handwerk, das er wirklich beherrschte, auch wenn der Schiffsbau und die Holzfällerei im Winter ihm leicht von der Hand gingen. Doch Alhvit wurde zu seinem Leben. Und ihre Weisheit wurde für diejenigen, die ihm folgen wollten, als er aufbrach, um eine Siedlung jenseits des Eises zu gründen, zu einem weiteren Stützpfeiler neben seiner Stärke. Sie vervollständigte seine Kraft mit ihrem wachen Geist und heilte seine zerrissene Seele.
Und nun war sie tot.
Bjorn war jenseits der Wut, die unweigerlich den Mannbär hervorbrechen ließ. Zum ersten Mal, wenn er nicht in den Armen seiner Frau lag, spürte er beinahe Frieden.
Nein. Nicht Frieden.
Es war Einstimmigkeit.
Auch der Geist des Bären hatte Alhvit über alle Maßen geliebt. Und nun war er eins mit dem Mann, dessen Brust er bewohnte.
„Rache“, grollte er leise. Und dann noch einmal lauter: „Rache!“
In seinem Rücken ertönte das zustimmende Gemurmel der Krieger, die mittlerweile das Schiff verlassen hatten und das Grauen mit eigenen Augen sahen. Und an seiner Seite nickten die beiden Wolfskinder entschlossen.
Dem Himmel zugewandt verkündete er es den Göttern:
„Sie haben bewiesen, dass sie aus den niedersten Tiefen von Utgard kamen. Und dorthin senden wir sie zurück. Alle, die hier waren. Alle, die ihrem Banner folgen. Alle, die ihrer Sippe angehören. Und alle, die von ihrem Blut sind.
Alle, die sich unter dem Zeichen des siebenzackigen Sterns scharen, sollen vernichtet werden.
Bluuuutrrrache!“
Der selten gehörte Ruf wurde von sechzig Kehlen aufgenommen. Und angesichts der Geschehnisse bestand kein Zweifel daran, dass auch andere Kartaren ihm folgen würden.
Nur eine Handvoll Male berichteten die Lieder der Skalden davon, dass sich eine Sippe der Kartaren in Gänze eines Verbrechens schuldig gemacht hatte, das den Ruf nach absoluter und vollständiger Vernichtung rechtfertigte.
Niemand erinnerte sich noch daran, welche Sippen das gewesen waren, wo sie gelebt und was sie verbrochen hatten.
Ebenso würde es den Menschen ergehen, die dem siebenzackigen Stern folgten. Sie würden aufhören zu existieren und jede Erinnerung an sie würde ausgelöscht werden. Nur eine Botschaft würde Bestand haben:
Niemand ist sicher vor der Blutrache der Kartaren!